Giacomo Barbatti

Ein gebürtiger Luzerner als italienischer Pilot in der Schweiz interniert

Diese oder ähnliche Schlagzeilen konnte man Anfangs Februar 1916 in Schweizer Zeitungen lesen. Für diese Abhandlung habe ich wiederum das Intelligenzblatt der Stadt Bern durchsucht. Aber auch in einer liechtensteinischen und einer französischen Zeitung habe ich Berichte gefunden, die jedoch wortwörtlich von den Schweizer Zeitungen übernommen bzw. übersetzt worden waren.

 

In der Ausgabe vom 5. Februar 1916 konnte man lesen, was zwei Tage zuvor, am 3. Februar 1916 um 3 Uhr Nachmittags im Südtessin geschehen war. Ein italienisches Flugzeug kam aus der Richtung des Monte Generoso, überflog Lugano und weiter zum Monte Cenere. Es wurde von der Schweizer Abwehr beschossen und dadurch so durchlöchert, dass eine Notlandung unvermeidlich war. Diese gelang dem Piloten unverletzt in der Ebene des Vedeggio, zwischen Bioggio und Agno. Der Pilot wurde gefangen genommen und in Lugano befragt. Er erklärte er sei in Turin gestartet und hätte nach Mailand fliegen wollen, doch infolge Nebels sei er in den schweizerischen Luftraum geraten. Es wurde ihm attestiert, dass er keine absichtliche Neutralitätsverletzung begangen habe.1

 

In derselben Ausgabe vom 5. Februar 1916 erschien zudem ein Bericht vom 4. Februar 1916. Demnach war der internierte italienische Pilot namens Barbatti 20 oder 22 Jahre alt. Er habe noch vor kurzem am Technikum in Burgdorf studiert. Entgegen dem ersten Bericht handelte es sich nicht um einen Offizier in Uniform, sondern er sei in Zivilkleidung sowie ohne Waffen und Munition unterwegs gewesen. Auch diente er erst seit vergangenem Herbst als Flieger in der italienischen Armee. Man nahm inzwischen an, dass der Pilot während seines Fluges von Turin nach Mailand oder Varese den Luganer- und Muzzanersee mit dem Langensee und dem See bei Varese verwechselt habe. Sein Flugzeug war ein Farman-Doppeldecker neuester Konstruktion, dessen Benzinreservoir bei der Landung noch halbvoll war. Es hätte mit drei Maschinengewehren ausgestattet werden können. Zwei Geschosse der Schweizer Abwehr hatten direkt neben dem Führersitz eingeschlagen.2

 

In der Ausgabe vom 8. Februar 1916 wurden dann noch genauere Angaben zur Person des Piloten bekannt. Er war offenbar schon in Luzern aufgewachsen, wo sein Vater seit ca. 20 Jahren als Bauführer in der Baufirma Vallaster tätig war. Der Sohn, der nun internierte Pilot, hatte im Sommer 1914 am Technikum in Burgdorf das Diplom als Hochbautechniker erworben. Als Techniker mit Vorliebe für die Mechanik hatte er sich dem Fliegerkorps zuteilen lassen. Angeblich hat er sich sehr für den Krieg begeistert und soll sich gefreut haben, dass er bald an die Front gehen könne. Deshalb ging man davon aus, dass er sein Flugzeug nicht mit Absicht in die Schweiz gelenkt hatte. Zudem musste er nun damit rechnen, dass seine Piloten-Karriere in Italien vorbei ist. Ausserdem wird erwähnt, dass ein Bruder Barbattis sowie ein Vetter als Bersaglieri an der Front gefallen seien.3 Laut einem anderen Bericht diente der Bruder Frido, der ebenfalls in Luzern aufgewachsen war, bei der italienischen Infanterie. (Siehe auch separates Kapitel weiter unten)

 

Giacomo Barbatti –vom italienischen Piloten zum Schweizer Fluginstruktor

Giacomo Barbatti und seine Familie waren in Luzern wohlbekannt. Sein Vater war ein Architekt (nach anderen Quellen jedoch Bauführer) und sein Bruder betrieb ein Restaurant in der Hertensteinstrasse. Giacomo absolvierte seine Ausbildung in Luzern und beendete sie am Technikum in Burgdorf. Nach dem Abschluss begab er sich kurz vor Kriegsausbruch nach Italien um seine Ausbildung zu vervollständigen. Da Giacomo im Gegensatz zu seinem Vater noch immer italienischer Bürger war, wurde er in die italienische Armee eingezogen. In Anbetracht seiner technischen Ausbildung wurde er im Sommer 1914 der Fliegerschule zugeteilt. Seine fliegerische Ausbildung genoss er auf dem Campo Scuola Militare d’Aviazione a Cascina-Malpensa. Mit wenig Aufwand erreichte er das Piloten-Brevet mit einem Flugzeug vom Typ Ansaldo-Barilla. Danach wurde er in Norditalien zu Beobach- tungs- bzw. Aufklärungsflügen eingesetzt bis er im Februar 1916 auf die Schweizer Abwehr traf.4

 

L’Ecole Supérieure d’Aeronautique de Lausanne wurde 1910 vom Lausanner Edouard Pethoud gegründet. Dieser besuchte Ende 1916 den Hauptmann Schlaeppi in Dübendorf, den Chef der Minitruppe der Schweizer Luftwaffe. Da es noch viel zu wenige Piloten gab, kamen sie auf die Idee, Pethoud solle seine Flugschüler auch auf militärische Einsätze vorbereiten. So kam es dazu, dass eine zivile Flugschule Militärpiloten ausbildete. Als erster Fluglehrer konnte Giacomo Barbatti gewonnen werden. Schliesslich hatte er schon Erfahrung im Umgang mit Militärflugzeugen in Zeiten des Krieges. So entliess man ihn aus der Internierung und schickte ihn nach Lausanne. Er begann seine Arbeit in der Flugschule im Frühling 1917 und blieb bis Ende 1918. Der Vorteil Barbattis war, dass er dreisprachig war und so Piloten aus allen Landesteilen ausbilden konnte. Mitte 1918 kamen noch Marcel Nappez und Marcel Weber als Instruktoren hinzu, ab April 1919 auch ehemals internierte britische Militärpiloten. Barbatti war zwar gebürtiger Luzerner aber noch kein Schweizer Bürger. Durch ein beschleunigtes Verfahren wurde er 1921 eingebürgert und trat 1922 in die Flieger-Rekrutenschule ein. Er stieg die militärische Karriereleiter hoch bis zum Grad eines Kommandanten.4

 

Ein Bruder und ein Vetter als Soldaten in der italienischen Infanterie gefallen

Den Berichten im Berner Intelligenzblatt entnehmen wir, dass ein Bruder und ein Vetter von Giacomo Barbatti als Infanteristen oder Bersaglieri im 1. Weltkrieg gefallen sind. Der Bruder hiess Frido oder wohl eher Fredo und starb im August 1915, der Vetter fiel ebenfalls 1915. Seit kurzem sind die Gefallenenlisten (Albo d’oro) des ersten Weltkrieges von ganz Italien online vorhanden.5

 

Barbatti Alfredo Enrico, Sohn von Giovanni

Soldat des 92. Infanterie Regiments, geboren am 7. November 1894 in Venegono Superiore, Militärdistrikt Varese, gestorben am 04.08.1915 am Monte Cavallino an Verwundungen im Kampf.

 

Barbatti Francesco Lucca, Sohn von Antonio

Soldat im 154. Infanterie Regiment, geobren am 30. Januar 1892 in Venegono Inferiore, Militärdistrikt Varese, gestorben am 24.11.1915 am Medio Isonzo an Verwundungen im Kampf.

 

Ob es sich bei Francesco Barbatti wirklich um den Vetter von Giacomo Barbatti handelt, kann nicht sicher bewiesen werden. Jedoch hat er nachweislich ebenfalls eine Zeit lang in Luzern gelebt. In einem Zeitungsartikel mit der Bekanntgabe seines Soldatentodes (offenbar durch Kopfschuss), wird erwähnt, dass er sich in Luzern in diversen Vereinigungen der dort ansässigen Italiener engagierte.6

 

Zum 91. und 92. Infanterie Regiment findet man eine gemeinsame Regiments-Geschichte online, in der sogar der 4. August explizit erwähnt wird. Sie bildeten zusammen die Brigata Basilicata, die sich in Friedenszeiten in Torino aufhielt. Einzugsgebiet war Catanzaro, Lodi, Lucca, Palermo, Savona und Varese.7

 

Der Monte Cavallino wird am 9. Und 10. Juli 1915 erstmals erwähnt, als ein Angriff auf die feindlichen Stellungen an diesem Berg erfolglos blieb. Am 18. Juli traten die beiden Infanterieregimenter zusammen mit Alpini und Bersaglieri wiederum zur Eroberung dieses Berges an. Diesmal gelang es einige Stellungen im Südosten einzunehmen, doch das war nur von kurzer Dauer.7

 

Am 4. August begann für die beiden Infanterie Regimenter die Operation zur Eroberung des Monte Rotheck. Dem ersten Bataillon des 92. Infanterie Regiments gelang es unter heftigem feindlichem Beschuss die Stellungen auf dem Gipfel des Rotheck zu erobern. Doch der feindliche Angriff dauerte acht Stunden an und führte schliesslich dazu, dass die Italienischen Truppen sich wieder zurückziehen mussten.7

 

Die Verluste der Italiener in den Kämpfen vom 4. August 1915 betrugen 39 Offiziere und 1049 Soldaten. Die Regimentsfahne des 92. Infanterie Regiments wurde mit der medaglia di argento al valore militare dekoriert für besondere Tapferkeit in den Kämpfen vom 4. August 1915. Am Ende der Regiments-

geschichte findet man die Namenslisten der gefallenen Offiziere dieser beiden Regimenter.7

 

Bauführer bei Josef Vallaster und die Bauwerke der Firma Vallaster

Aus einem oben erwähnten Zeitungsartikel im Berner Intelligenzblatt erfahren wir, dass Giacomos Vater seit ca. 20 Jahren Bauführer bei der Firma Vallaster in Luzern war. Diese Baufirma wurde 1896 von Josef Vallaster gegründet, das heisst also, der Vater Barbatti war von Anfang an dabei. Wer war nun dieser Josef Vallaster und welche bekannten Gebäude wurden durch diese Firma erbaut?

 

Josef Vallaster wurde am 17.09.1864 in Winterthur geboren, war jedoch Bürger von Muri AG und liess sich 1899 in Luzern einbürgern. Sein Vater hiess ebenfalls Josef und war von Beruf Bauführer, seine Mutter hiess Margaretha und war eine geborene Baur. Josef junior heiratete 1893 Marie Rütter, Tochter von Sebastian Rütter, die Inhaberin eines Spezereiladens in der Zürichstrasse war.8

 

Bevor Josef junior seine eigene Baufirma gründete, durchlief er den üblichen Werdegang. Er absolvierte zunächst eine Lehre im Baugeschäft Wilhelm Keller und stieg dann zum Polier und später zum Bauführer auf. In jener Zeit war er am Bau der Luzerner Hauptpost und des Hotels Union beteiligt.9

 

Nach der Gründung seiner eigenen Firma (und mit dem Mitarbeiter und Bauführer Barbatti) wurde er für den Bau folgender wichtiger Gebäude beauftragt: Umbau des Hotels Central, Neubau für Bootsbauer Herzog, Elektrizitätswerk und Erziehungsanstalt Rathausen (Wiederaufbau), das Hotel Palace (Betonarbeiten), die Schweizerische Kreditanstalt am Schwanenplatz und das Maihofschulhaus.9

 

Später trat sein Sohn Joseph Albert Vallaster in seine Fussstapfen und erstellte ebenfalls eine Reihe wichtiger Bauwerke in Luzern: die Seebrücke, die Langensandbrücke, die Kaserne Allmend, die St. Josefskirche im Maihof, das Verwaltungsgebäude der PTT an der Bahnhofstrasse, die Schindler-Fabrik in Ebikon oder das erste Parkhaus der Schweiz, das City-Parking an der Zürichstrasse.9

 

Joseph Albert absolvierte übrigens seine Ausbildung am Technikum Burgdorf, genauso wie der wohl etwa gleichaltrige Giacomo Barbatti, der Sohn des Bauführers von Vater Vallaster.

 

 

1 Intelligenzblatt für die Stadt Bern, Ausgabe vom 05.02.1916

2 Intelligenzblatt für die Stadt Bern, Ausgabe vom 05.02.1916

3 Intelligenzblatt für die Stadt Bern, Ausgabe vom 08.02.1916

 

La Stampa (Italien) vom 06.02.1916 und vom 10.02.1916

(bezüglich Flugzeug Rückgabe) http://www.archiviolastampa.it/

4 http://www.pionnair-ge.com/spip1/spip.php?article92

 

5 http://www.cadutigrandeguerra.it/ (Suche nach Namen oder Region)

6 http://www.14-18.it/documento-manoscritto/mcrr_caduti_16_72/3

7 Regiments Geschichte http://www.cimeetrincee.it/basilicata.pdf

 

8 Historisches Lexikon der Schweiz http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D30268.php

9 Stadtarchiv Luzern, Privatarchive, Nachlass Familie Vallaster http://www.stadtarchiv-luzern.findbuch.net/php/main.php?ar_id=3662&be_kurz=44303539&ve_vnum=#44303539