Der Fund auf dem Dachboden
Einige Monate nach dem Tod meiner Grossmutter stand die Räumung
ihres Hauses auf dem Programm. Auf dem Dachboden fanden wir einige
Dokumente, die für uns Ahnenforscher wahre Schätze sind. Als ich diese
später zu Hause in Ruhe sichtete fiel mir eine vergilbte Broschüre in die
Hände.
Auf dem Titelbild flog ein US-Bomber auf ein Gewässer zu und die Titelzeile
„Nach acht Jahren dem Seegrund entrissen“ stach mir in die Augen. Neugierig
geworden blätterte ich die Seiten um und vertiefte mich in die Lektüre der
Broschüre.
Ich las zum ersten Mal etwas davon, dass im 2. Weltkrieg viele alliierte
Flugzeuge in der Schweiz abgestürzt oder notgelandet waren. Zudem erfuhr
ich „wie der Bomber sein nasses Grab fand“ im Zugersee und wie er acht
Jahre später durch Martin Schaffner von Suhr aus dem See gehoben/
geborgen wurde.
Die Ereignisse vom 16. März 1944
Der Bomber B-17-G mit dem Kennzeichen 42-38160 der 385 Bomb Group
550 Squadron startete am 16.März 1944 von Great Ashfield in England aus
zu einem Einsatz über Augsburg (Messerschmitt-Flugzeugwerke). Kurz vor
Ankunft beim Zielort wurde er von deutschen Jagdflugzeugen angegriffen
und durch die Schüsse beschädigt.
Zunächst stieg ein Triebwerk aus, die Plexiglasnase wurde zerstört und ein
Crewmitglied wurde am Fuss verletzt. Als wenig später noch ein zweites
Triebwerk ausstieg, war es nicht mehr möglich in der Formation zu bleiben.
Dadurch wäre man ohne Begleitschutz gewesen und hätte es nicht mehr
geschafft bis nach England zurück zu fliegen.
So nahmen sie Kurs auf die Schweiz, an deren Grenze sie sofort durch die
Schweizer Luftwaffe in Empfang genommen wurden. Diese wollten die
B-17-G zur Landung in Dübendorf zwingen, doch aufgrund der Beschädi-
gung war dieses Manöver nicht möglich.
Begleitet von den Schweizer Flugzeugen flog die B-17-G, immer mehr an
Höhe verlierend, in Richtung Zugersee. Über der Stadt Baar befahl der Pilot
Robert W. Meyer seiner Crew den Absprung mit dem Fallschirm.
Leider öffnete sich beim Navigator Robert L. Williams der Fallschirm zu spät,
weshalb er kurz nach der Landung im Krankenasyl seinen schweren Ver-
letzungen erlag. Zwei der anderen waren leicht verletzt, die übrigen kamen
heil unten an.
Dem Pilot Robert W. Meyer gelang es, das Flugzeug sicher auf dem See zu
landen. Er konnte durch anwesende Fischer gerettet werden, die B-17-G
jedoch versank in den Tiefen des Sees.
Dort ruhte sie bis Martin Schaffner, genannt Bomber-Schaffner, sie mit
seinem Team barg. Danach wurde sie an verschiedenen Orten in der
Schweiz ausgestellt. Dafür wurde auch die Broschüre hergestellt, die nun
in meinen Händen liegt.
Erste Nachforschungen - Missing Aircrew Reports
Einige Jahre nach diesem Dachbodenfund begann ich mit ersten Nach-
forschungen. In einem Buch über das Zugerland stiess ich auf einen weiteren
Bericht über den Absturz. Ein anderer Aviatikforscher sandte mir einen Text,
verfasst von einem Stadtarchivar, der auch Aussagen von Crewmitgliedern
und Augenzeugen enthält.
Danach legte ich dieses Thema auf Eis, bis ich vor kurzem in einem Ahnen-
forscherforum auf den Hinweis stiess, „Missing Aircrew Reports“ von Flug-
zeugen der US Air Force im 2. Weltkrieg seien online vorhanden. Durch eine
Forscherkollegin, die auf der betreffenden Website registriert ist, kam ich
dann auch an diese interessanten Dokumente ran.
Nebst dem eigentlichen „Missing Aircrew Report“ waren auch Aussagen von
der Hälfte der Crewmitglieder dabei, einerseits zum Absturz des Flugzeugs,
andererseits zum Schicksal des Navigators Robert Williams.
Der Angriff geschah unter der Leitung von Group Commander Colonel Vandevanter
und Squadron Commander Captain Warren E. Cerrone. Die Route führte über
Frankreich nach Süddeutschland zum Ziel in Augsburg (Messerschmitt-Werke).
Da ich, wie bereits erwähnt, schon drei Berichte besitze, waren für mich
nicht viele neue Informationen dabei. Für jemand, der noch nichts über
den Absturz weiss, sind diese Dokumente aber sicher sehr hilfreich.
Enlistment Records und Prisoner of War Records
Wenige Tage später entdeckte ich in demselben Ahnenforscherforum einen
Link zu einer Website der National Archives, auf der man unter anderem die
Enlistment Records sowie die Prisoner of War Records der US-Soldaten,
auch des Air Corps, findet. Da fand ich von den meisten Crewmembers der
obigen B-17-G entweder den Enlistment Record oder den Prisoner of War
Record, nur vom Piloten fand ich beides.
In ersterem wird das Geburtsjahr, der Wohnort vor dem Einzug ins Militär
und der Einzugsort erwähnt sowie die Ausbildung und der zivile Beruf.
Aus letzterem geht hervor, wo derjenige im Kriegseinsatz war, als er in
Gefangenschaft geriet. Leider ist die Zeile zu den Kriegsgefangenen-
bzw. Interniertenlagern bei allen nicht ausgefüllt.
Mehr Informationen über die Crewmembers
Da ich nun endlich Informationen über Jahrgang und Herkunft bzw. Wohnort
(im Jahr 1942) besass, versuchte ich nun als nächstes, mehr über die
Crewmembers herauszufinden.
Bei einem hatte ich das Glück, gleich auf Anhieb ein Obituary (Nachruf/
Lebenslauf, der nach dem Tod in der Zeitung erscheint) zu finden. Dieses
war sehr ausführlich und berichtete über sein Leben vor und nach dem Krieg
und die Angaben zu seiner Zeit während des Krieges deckten sich mit meinen
bisherigen Kenntnissen. Zudem fand ich von ihm einen ausführlichen Bericht
über den Absturz sowie über ein Interniertenlager.
Zu einem anderen habe ich nach längerem Suchen vermutlich auch noch
mehr Informationen gefunden, inklusive Fotos der Grabsteine von ihm
und
seiner Frau, sowie einer Gedenktafel, die ihn als Träger des Purple Hearts
ausweist. Ausgehend von einem Census Eintrag (1920 oder 1930) konnte
ich seine Eltern und Geschwister finden (inkl. Obituary einer Schwester)
und seine Grosseltern in Norwegen.
Dank einer Aktion bei fold3 konnte ich eine Liste finden mit den Namen der Eltern
oder Ehefrauen und deren damaligen Adressen. Ausgehend von diesen Angaben
ist es mir gelungen, fünf weitere Mitglieder der Besatzung zu erforschen.
Frühere Einsätze dieser B-17-G in Deutschland
Bei den übrigen Crewmembers gestaltete sich die Suche wegen häufiger
Namen schwierig. Deshalb richtete ich meinen Fokus nun auf die drei
weiteren Einsätze dieser B-17-G. Im „Missing Aircrew Report“ wird nämlich
erwähnt, dass vor dem Einsatz auf Augsburg an drei Tagen anfangs März
1944 drei Einsätze auf Berlin geflogen wurden.
Ein Crewmitglied wies darauf hin, dass sie vor dem ersten Einsatz auf das
Ziel Berlin gebrieft worden seien, aber auf dem Flug nach Berlin wegen
schlechten Wetters dieses Vorhaben abgebrochen werden musste und
stattdessen die Stadt Kiel angeflogen wurde.
Der zweite Einsatz fand am 6. oder 8. März auf Berlin und der dritte Einsatz
am 9. März ebenfalls auf Berlin statt. Die „Schlacht um Berlin“, auf alliierter
Seite „The Battle of Berlin“ genannt, begann bereits im Februar durch
Britische Bomber, die in der Regel nachts angriffen. Im März übernahmen
dann die Amerikaner, die ihre Angriffe tagsüber flogen.
Zu den Ereignissen in Berlin vom 6. und 8. März (Vorort Erkner) findet man
auf diversen Websites Informationen, Berichte aus Chroniken, von Augen-
zeugen in Flakstellungen oder über Abstürze einiger Bomber (B-17 und B-24).
Zum Angriff vom 9. März habe ich bisher noch nicht viel Brauchbares
gefunden (ausser auf der B-24 Website).
Der vierte Einsatz dieser Crew war dann der schicksalhafte Angriff auf
Augsburg am 16. März 1944. Auch zu diesem Ereignis findet man diverse
Informationen im Internet, auch zu anderen B-17 oder B-24, die an diesem
Tag in der Schweiz abstürzten oder notlandeten.
Hier ein Zeitungsartikel aus dem Milwaukee Journal, Wisconsin vom 19.03.1944
Five Southern German Cities hit by bombs - 43 Bombers reported missing
http://news.google.com/newspapers?nid=jvrRlaHg2sAC&dat=19440319&printsec=frontpage&hl=de
Neben Augsburg wurden auch Friedrichshafen, Lechfeld, Landsberg und Oberpfaffen-
hofen angegriffen. In Augsburg waren das Ziel die Messerschmitt Flugzeugwerke, in den letzten drei Orten Testflugplätze derselben Firma. Die B17 und B24 Liberators wurden begleitet von Lightnings, Thunderbolts und Mustangs die insgesamt 39 feindliche Flugzeuge abgeschossen haben sollen. Nach dem Einsatz wurden 43 Bomber und 10 Begleitjäger vermisst, mindestens 13 davon sollen jedoch in der Schweiz gelandet sein. Die Deutschen behaupteten in ihrer Propaganda, dass sie 40 Bomber abgeschossen hätten, dazu noch 21 über Italien.
Besatzung:
Pilot: Robert W. Meyer, 1st Lt, La Crosse, Wisconsin
Copilot: Boyd J. Henshaw, 2nd Lt, Mount Vernon, Washington
Navigator: Robert L. Williams, 2nd Lt, Pittsboro, Indiana
Bombardier: Carl J. Larsen, T/Sgt, El Campo, Texas
Engineer: John Miller, Jr., S/Sgt, Girard, Ohio
Radio: John E. Wells, T/Sgt, Jeffersonville, Indiana
Ball Turret: Charles W. Page, S/Sgt, Christiansburg, Virginia
Right Waist: Lous B. Liening, S/Sgt, Coldwater, Ohio
Left Waist: Elbert E. Mitchell, S/Sgt, Soulsbyville, California
Tail Gunner: Jarrell F. Legg, S/Sgt, West Virginia, später Utah
Wer an ausführlicheren Informationen zu diesem Flugzeugabsturz, den
Einsätzen auf Berlin und Augsburg oder den Crewmitgliedern interessiert
ist, kann mich via Kontaktformular oder Gästebuch erreichen.
Wenn es in eurer Nähe einen ähnlichen Fall gibt, den ihr gerne erforschen
möchtet oder euer Vorfahre zu einer Aircrew im 2. Weltkrieg gehörte,
findet ihr hilfreiche Websites und Datenbanken in meiner Linkliste.